Eine Tüte - eine repräsentationskritische Auseinandersetzung
31. August 2020
von Bettina Eberhard, Manuela Luterbacher
Die schnell verflogene Aufregung, um die von Mickry 3 für ein grosses Schweizer Detailhandelsunternehmen gestaltete Einkaufstüten, fiel genau in die Zeit, in der wir Kulturagent.innen eine Reflexionswerkstatt zum Thema Repräsentationskritik mit Kea Wienand hatten. Die Gelegenheit, um etwas kritischer auf die Tüte zu kucken. Wurde hier die Zensurschere angesetzt und gar (feministische) Kunst sabotiert?
Ob es lustig, erheiternd oder anstössig ist, dass sich eine nackte Frau mit einem Tier tummelt und Pizza isst, darüber wird hier nicht geschrieben. In einer repräsentationskritischen Perspektive geht es darum zu befragen und offenzulegen worauf sich eine Darstellung(sweise/n) bezieht, wie und von wem sie mit welchen Interessen konstruiert, gestreut und etabliert wurde. Visuelle Wahrnehmung ist nach repräsentationskritischen Ansätzen kein neutraler Akt, sondern stets im Kontext eines Blickregimes (Kaja Silverman) vor-geformt. Alles was wir sehen, interpretieren wir entlang persönlicher und kulturell erlernter Sichtweisen. Unser kulturell erzeugtes Bildrepertoire ist demnach von Normen und Idealen geprägt. Repräsentationskritik befasst sich damit, wie Bedeutungen entstehen, wie wir Dinge, Menschen und Ereignisse mit Konzepten, mit Bildern und Begriffen, mit Eigenschaften und Zuschreibungen verbinden und dadurch soziale Hierarchisierungen bestätigen. Gerade in der heutigen Zeit, in welcher die Sensibilisierung für sprachliche Diskrimination wächst, bezogen auf Geschlecht, Gender und Hautfarbe, nimmt auch das Hinterfragen von visuellen Darstellungen, wie hier auf den Einkaufstüten, eine wichtige Rolle ein.
Frauen werden – auch anhand fragwürdiger Studien – darauf festgeschrieben, gern zu konsumieren*. Sie werden – gerne nackt – auf zahllosen Gemälden in den Museen zu sehen gegeben (siehe dazu die Aktivistinnen von Guerrilla Girls). Und mit weiblichen Körpern wird gerne geworben – mit und ohne Kleidung. Bei einer Fläche, die von einem Detailhandelsunternehmen zur Gestaltung in Auftrag gegeben wird, handelt es sich immer auch um eine Werbefläche. Auch dann, wenn der Auftrag an Künstler.innen vergeben wird. Werbung mit weiblicher Nacktheit ist, auch für ein provokatives Künstlerinnentrio, nicht gerade originell und wenig durchdacht – folgt es doch einer altbekannten sexistischen Tradition.
Die Künstlerinnen argumentierten damit, dass die Vernichtung der Papiertüten wieder gezeigt hat, dass Frauen immer noch nicht den Platz haben, den sie sich wünschen. Ist es wirklich so? Ist es, wie die Künstlerinnen behaupten, die weibliche Nacktheit, die stört und provoziert? Oder ist es eben gerade die Nacktheit, die stört und aufreizt, weil sie schon immer als Werbematerial (miss-)gebraucht wurde? Das Ziel der Tüte soll es gewesen sein, uns nach dem Lockdown aufzuheitern. Ein leichtes, lustiges Motiv. Vielleicht verliert das Motiv aber an Leichtigkeit, wenn jetzt nach der Öffnung feststeht, dass die Verliererinnen des Lockdowns vor allem Frauen sind, denen viel mehr aufgebürdet wurde als reitende Katzen.
*Über 80% aller gekauften Produkte und Dienstleistungen in den Ländern der ersten Welt, werden von Frauen gekauft. Gogoi, P., «I Am a Woman, Hear Me Shop» in Bloomberg Business Week, Februar 2005, gefunden in «Fleischmarkt» von Laurie Penny.