The School is a Stage
04. November 2021
von Stefanie Kasper
Am Montag 14. Juni 2021 startet die Projektwoche «SchauSpielOrt» im Sekundarschulzentrum Remisberg in Kreuzlingen. Was sich bis zum Zeitpunkt des Augenscheins am Mittwochmorgen in der Schulanlage alles getan hat, ist beeindruckend.
An fünf verschiedenen Orten arbeiten Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Klassen alleine oder in Gruppen an ihren selbst erdachten Szenografien und Inszenierungen. Ihr gemeinsames Ziel: Das Schulhaus soll zu einer Bühne werden, auf der sich Geschichten abspielen und neue visuelle, akustische und räumliche Erfahrungen möglich sind. Doch der Reihe nach...
Das spartenübergreifende Vermittlungsangebot «SchauSpielOrt» ging 2019 als eines von vier Siegerprojekten aus dem Wettbewerb KOMET#2 – Kulturvermittlungsprojekte an Thurgauer Schulen hervor. Schülerinnen und Schüler sollen an selbst gewählten, ungewöhnlichen Spielorten in der Schule eigene Theaterminiaturen kreieren. Die Auseinandersetzung, wie ein alltäglicher Ort durch inszenatorische Mittel und performative Beiträge mit neuen Bedeutungsebenen aufgeladen werden kann, bildet den roten Faden des Projekts von Bettina Eberhard, Michael Eul und Martin Rappold. Ihr Anliegen besteht unter anderem darin, mit dem Projekt einen selbstbestimmten künstlerischen Prozess in Gang zu setzen, in dem die Ideen der Schülerinnen und Schüler tatsächlich zur Entfaltung kommen.
Während der Projektwoche am Remisberg beraten und unterstützen der Künstler Michael Eul und der Schauspieler Martin Rappold die Jugendlichen von den ersten Ideen bis zur Umsetzung. Sie begegnen den Jugendlichen auf Augenhöhe, helfen beim Zusammenführen verschiedenster Einfälle und bringen ihr eigenen künstlerischen Erfahrungen mit ein. Als engagierte Sparringpartnerin, die mit der Schulanlage bestens vertraut ist und logistische Wunder vollbringen kann, fungiert die Lehrerin Samira Locher. Die ernsthafte und dennoch flexible und unkomplizierte Zusammenarbeit zwischen den Kulturvermittlern, der Lehrerin und den Schülerinnen und Schülern scheint wunderbar zu funktionieren. So entsteht Raum für Ideen, die in überraschenden Inszenierungen münden.
Die Einblicke in das Work-in-Progress am Mittwochvormittag zeigen, wie sich die Schülerinnen und Schüler auf die Ziele von «SchauSpielOrt» fokussieren und keine Mühe mit den offenen Vorgaben haben. Sie bringen sich selbständig ein und lassen sich von ihren individuellen Erfahrungshintergründen, Interessen und Referenzsystemen leiten.
Für ihren Schauspielort in einer Vitrine schlüpfen die Schüler Ata und Leon in die Rolle zweier Brüder. Als Familie Biberli leben sie in einer Art «Wohnterrarium» ihren unspektakulären Alltag, der sich auf Fernsehkonsum, Essen und Streiten beschränkt. Durch das Vitrinenglas sind die Szenen für das Publikum sicht- aber nicht hörbar. Die Inszenierung des beengten Wohnraums im Brockenhausstil lässt verschiedene Assoziationen zu: Sehen die einen im zur Schau gestellten Alltagsleben einen medienkritischen Kommentar zu Reality-TV-Formaten wie Big Brother, fühlen sich andere an die eigene Wohnsituation während dem pandemiebedingten Lockdown erinnert.
Im Flur im Untergeschoss werden grosse Kartonschachteln mit roter Farbe bepinselt. Mara, Christine und Lucia kreieren «Londoner Telefonkabinen». Während diese Elemente öffentlicher Kommunikationsinfrastruktur zusehends aus den Stadtbildern verschwinden, heben sich die aus Kartons nachgebauten Kabinen allein schon durch die knallige Farbgebung auffällig von ihrer Umgebung ab. Auf das Endresultat darf man gespannt sein, sollen die Einrichtungen doch durch neue Funktionen wie Duschbrausen ausgestattet werden.
Natur und Geometrie bzw. Bepflanzung und Verbindungslinien aus Klebebändern treffen in Kevins Intervention im Aussenraum aufeinander. Der Schüler experimentiert mit Materialien und Wirkungsweisen – und tauscht sich dazu angeregt mit Martin Rappold aus. Sollen die den Aussenraum durchziehenden Linien Hindernisse oder verbindende Elemente bilden? Einen geometrischen Gegensatz zur organisch gewachsenen Umgebung darstellen? Die Schattenlinien, welche die Klebebänder auf den Boden werfen, wirken wie ephemere konstruktivistische Zeichnungen. Auch hier macht es neugierig, wie diese mit minimalen Mitteln erreichte Intervention schliesslich bespielt werden wird.
Auch der Luftschutzkeller dient als Spielort – für eine düstere Geschichte, welche die beiden Schülerinnen Malina und Lisa selbst verfasst und vertont haben. Eine junge Frau wird auf dem Heimweg von einer Party im Wald von ihrem Ex-Freund umgebracht. Der Mörder bringt sein geliebtes Opfer in den heimischen Keller, wo er sich um sie kümmert, als wäre sie lebendig. Vor dem Hintergrund dieser Geschichte geht von den Fragmente einer Schaufensterpuppe im Zentrum des Kellerraums eine makabre Symbolik aus. Mit Licht- und Soundeffekten wollen die beiden Schülerinnen dem Publikum in ihrer begehbaren Installation zum immersiven Erleben der Geschichte verhelfen.
Die grösste Arbeitsgruppe, in der Sumeja, Bruno, Silvestar, Angelina, Nicolas und Ufek mitarbeiten, hat sich einem schweren Thema verschrieben: dem Tod. Eine Passage im Flur des Untergeschosses wird räumlich durch schwarze Vorhänge abgetrennt und so buchstäblich zu einem Durchgangs-Ort. An einen Ort zwischen Leben und Tod oder in einen Bereich darüber hinaus soll sich das Publikum versetzt fühlen. Gedämpfte rote Scheinwerfer und ein Protagonist, der mit Stiermaske eine Art Minotaurus darstellt, sorgen beim Betreten dieses Ortes für düstere Stimmung.
Allzu gerne würde man die weiteren Entwicklungen all dieser Interventionen und Inszenierungen bis zum Schluss der Projektwoche am Freitag verfolgen und der Abschlussvorstellung beiwohnen. Zum Zeitpunkt des Augenscheins sind noch viele Möglichkeiten offen, Ideen entstehen, werden wieder verworfen. Gut möglich, dass die letzten Anpassungen, Justierungen und Optimierungen kurz vor Aufführungsbeginn stattfinden. Sicher ist, dass der Blick aller Beteiligter auf die Schulumgebung durch die Schauspielorte durch neue Konnotationen bereichert werden. Und dass die im Prozess gemachten Erfahrungen bei allen Beteiligten nachhaltig nachwirken werden.
Stefanie Kasper, Geschäftsführung kklick TG