Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Wie man auf eine Idee kommt: Eindrücke aus dem Projekt «Spinnerei zu St. Margrethen»

Wie kommt man als Künstler.in eigentlich auf eine Idee? Und wie kann an dieser weitergesponnen werden? Das fragen sich fünf Künstler.innen aus verschiedenen Sparten gemeinsam mit den Schüler.innen der Primarschule Wiesenau in St. Margrethen.

Nach einem fulminanten Kickoff im Dezember, bei dem mit einem Hebekran ein Klavier aufs Schulhausdach gehievt wurde, ist die «Spinnerei zu St. Margrethen» wöchentlich an mindestens zwei Vormittagen geöffnet. Wer aus dem Team der fünf Künstlerinnen aktuell vor Ort ist, sehen die Kinder schon früh morgens vor Schulbeginn. Da sitzt z.B. der St. Galler Komponist und Klangwart Roman Rutishauser auf dem Schulhausdach und improvisiert auf dem wettergestählten Klavier. Bisweilen gesellt sich auch eine Schülerin zu ihm, mit Klettergurt gesichert, packt vielleicht ihr Cello aus, und ganz neue Töne klingen schüchtern durch den Baustellenlärm. Ist Tobias Stumpp da, flimmern Filmarbeiten von Schüler.innen aus dem Künstler-Container. Alena Kundela animiert beim Feuer zum Tanztraining. Eben noch haben sich die Kids die Nasen an der Containerscheibe plattgedrückt oder erste Choreos gewagt, da klingelt die Schulglocke. Für kurze Zeit ist der Pausenplatz leer. Doch gleich holen die Künstler.innen eine Klasse zur gemeinsamen Arbeit ab. Da spannen die Zweitklässler bunte Fäden über den Pausenplatz, finden Wege untendurch und drüber, und schon stecken sie mitten in einer wunderbar anzuschauenden Choreographie. Das bunte Spinnennetz überlebt die Zehnuhrpause zwar nicht unbeschädigt, hat aber alle inklusive Pausenaufsicht zu ungewohnten Verrenkungen animiert, und wer weiss, vielleicht hatte der eine oder andere auch einen Gedankenblitz dabei? Wie aus Gedankenblitzen Szenen und Songs entstehen, erleben die Klassen im Workshop mit der Jazzsängerin Miriam Sutter. Sie lassen z.B. Pingpongbälle fallen, schreiben auf, was ihnen genau in dem Moment in den Sinn kommt, in dem der Ball zum ersten Mal den Boden berührt. Aus den Wörtern entstehen Szenen, eine jede ein Feuerwerk der Fantasie – ihr Ursprung ein Pingpongball. Wie es klingt, wenn gleich tausend Pingpongbälle durch zwei Stockwerke purzeln und unten in einer Blechwanne aufschlagen, lässt Roman Rutishauser die Kinder erfahren. Das ganze Schulhaus verwandelt sich in ein riesiges Instrument. Knifflig dann die Frage: Wie klingt eigentlich die Farbe rot? Ein Mädchen sucht lange konzentriert auf dem Keyboard nach «roten Klängen», während die Klassenkameraden eine Ausstellung auf dem ganzen Schulareal zum Thema Rot gestalten. Da wird manch ein vermeintliches Schrottteil wirkungsvoll in Szene gesetzt.

Das mag sich alles für Aussenstehende zunächst nach einem vergnüglichen Spiel anhören. Ist es auch. Aber dahinter steckt viel: Die Künstler.innen vermitteln Techniken, legen Spuren und geben Einblick in ihr eigenes Denken und Schaffen. Künstlerisch tätig sein sollen aber die Kinder und Jugendlichen selbst, während Künstler.innen und Lehrpersonen assistieren: Ein Rollentausch und ein Umdenken im Wertekanon: Die Produkte sind nach einem Vormittag nicht «fertig». Aber was heisst schon «fertig»? Vielleicht klingt das Klassenkonzert mit Soundtüftler Reto Knaus in Erwachsenenohren nach Lärm. Wichtig sind in diesem Langzeitprojekt die Prozesse des Sammelns und Sortierens von Ideen, das intuitive Entscheiden und selbstbewusste künstlerische Tun, das die Kinder üben. Den Projekttitel hat der Komponist und Pädagoge Roman Rutishauser gesetzt. Denn «Spinnen heisst, die Grenzen des Denkens zu überwinden». Dass dabei eine ungewöhnliche, von den Kindern gesteuerte Ideensammlung für das Eröffnungsfest des Erweiterungsbaus Wiesenau im September 2021 wächst, ist ein erwünschter Nebeneffekt.