Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Sie ist eine leidenschaftliche Beobachterin, sitzt gerne im Kaffee und nimmt die Dinge um sich herum in den Fokus. Gleichzeitig braucht sie es, selbst in Bewegung zu sein. In Zürich geboren, studierte Bettina Eberhard in London, arbeitete dort und in Madrid als unabhängige Filmemacherin, studierte später weiter an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Die «Kohlhaas.Protestspiele.Köln.Kalk», die sie dort 2015 nach einem Text von Kleist als begehbaren Theaterparcours inszenierte, hält sie für eine ihrer bisher stärksten Inszenierungen. Zwischen Schauspieler.innen und Passant.innen kämpfte Kohlhaas auf den Kölner Strassen für sein Recht und liess die Sichtweisen über seine Sache verschwimmen. Hier konnte Bettina Eberhard realisieren, was ihr so wichtig ist: Den Zuschauenden den sicheren Teppich der Narration unter den Füssen wegzuziehen, sie für Momente «nach oben zu fallen zu lassen» im bewussten Wahrnehmen des eigenen Perspektivenwechsels. Auch der Titel ihres experimentellen Kurzfilms «Fallwind» spielt mit dieser Vorstellung. 

Doch ebenso wichtig wie das Fliegen ist Bettina das Ankommen, das Position beziehen in der heutigen Gesellschaft, welche die Dauerberieselung gerne zu passiven Konsumierenden macht. «Was und wo ist Recht in unserer Zivilisation?», fragt sie in «Kohlhaas». «Ich versuche die Werte, die mir wichtig sind zu vertreten, pflege auch in meiner Kunst eine Zivilcourage, einen bewussten Ungehorsam.» Gehorsam sein habe einen hohen Stellenwert. Wer gehorcht, kriegt was er möchte. «Aber was kommt jenseits der Ökonomie?» so fragt sich Bettina. Kunst hat die Fähigkeit, zu hinterfragen, Sichten auf dieses Jenseits zu eröffnen. 

In ihren Workshops mit Kindern und Jugendlichen setzt Bettina deren Wahrnehmung in den Mittelpunkt. Das Theater spielen geschieht mit Fokus auf das Spielen, das äusserst wichtig ist für die mentale Entwicklung. Es verleiht eine Empathie sowie die Erfahrung und Übung, bei sich selbst Widerstände zu überwinden. Das kann auch eine Installation ganz ohne Publikum sein. Es geht zunächst mehr um das Tun als um das Vorzeigen. Doch für Bettina Eberhard, die während des Studiums auch in Londoner und Kölner Kinos als ausgebildete Filmvorführerin gearbeitet hat, ist das Publikum wichtig – ein mündiges Publikum, mit dem sie als Künstlerin ihre Fragen teilt. Und genau da schätzt sie den Perspektivenwechsel ganz besonders, den ihr die Kamera gibt: die Möglichkeit, Menschen und Dingen so nahe zu sein, wie man das normalerweise nur sehr vertrauten Menschen ist, das absichtliche Wegschauen, das vorbeifahrende Streifen und das neu Ordnen im Filmschnitt. «Ich denke gerne querbeet, verknüpfe das Eine mit dem Anderen». Genau das ist die grosse Gabe einer Kunst, wie Bettina sie pflegt, und wie sie sie am liebsten im Schulsystem fest verankert fände, als Schulung für das eigenverantwortliche Intervenieren, sei es im Fliegen oder im Ankommen bei sich selbst.

Text: Barbara Tacchini