«Das Kino ist ja ganz klein!»
12. août 2022
par Amanda Unger
Matinée mit Filmen der Schüler.innen der Schulen im Widmer und Himmeri-Staudenbühl im Kino Xenix.
Die insgesamt circa 40 Kinder der Tageschule Himmeri-Staudenbühl und der Schule im Widmer trudeln langsam vor dem Kino Xenix ein. Es ist noch früh und bereits sehr heiss. Doch freuen sich alle hier zu sein, und ebenso auf die Vorführung, denn es sind ihre filmischen Produktionen aus dem Projekt «MovieMotor», die heute über die Grossleinwand flimmern.
Eine der beiden Schulklassen ist verspätet. Für die andere Klasse entsteht eine Wartezeit, in welcher die Architektur des Kino Xenix’ in den Fokus der Aufmerksamkeit gerät.
Ein Junge ist perplex: «Das Kino ist ja ganz klein! Ich hab etwas anderes erwartet ...».
Das Xenix, eine niedrig und lang geschnittene ehemalige Schulbaracke, hat wohl gar nichts mit den Architekturen der Kinos gemein, die der Schüler sonst besucht. Keine grosse Eingangshalle, keine Aufzüge, Rolltreppen und Süsswarenstände. Doch steht auf den Bänken des Xenix’ Popcorn und Sirup bereit. Eine willkommen heissende Geste, da im Kino Xenix sonst kein Popcorn verkauft wird.
Nach einem Begrüssungswort von Laura Zachmann, Cora Piantoni vom Kino Xenix und den involvierten Filmvermittler.innen Amada Reichmuth, Linda Messerli, Eleni Gaggini und Elias Joho begleiten der Duft und das Rascheln der Popcorntüten die Filmvorstellungen und erzeugen eine festliche, entspannte Atmosphäre. Die Kinder lachen und kommentieren viel. Manchmal ist es die Situationskomik einzelner filmischer Szenen, ein andermal die effektvoll geschminkten und somit verfremdeten Gesichter der Schüler.innen und der seltsame Effekt, sich selbst auf einer Kinoleinwand zu sehen, das sie in Gelächter ausbrechen lässt.
Was auf der Leinwand zu sehen ist, ist innerhalb einer professionell geleiteten Projektwoche (Schule im Widmer) und eine über mehrere Lektionen verteilte Workshop-Reihe (Tageschule Himmerii-Staudenbühl) entstanden. In den gezeigten Filmcollagen und -clips performen die Kinder als Gangster, Killerclowns, als nymphenhafte Waldfeen, als Waldtrolle, als Blinde, und auch als Schüler.innen und Lehrperson in vielfältigen und verschiedenartigen Szenen. In beiden Filmen tauchen die Charaktere in Paralleluniversen ein, in fremdes Terrain, in welches sie anhand eines magischen Buches oder der Geschichte eines Schülers, die im Regelunterricht vorgelesen wird, hineinschlittern. In diesen Fantasiewelten ist alles anders, seltsam, teils absurd, manches auch beängstigend, gewaltvoll. Eine Faszination der Schüler.innen für Gangster-Rap und den filmischen Mitteln entsprechender Musikvideoclips, für kriminelle Banden und deren Hierarchien ist ebenso ersichtlich, wie jene, in genau diese Rollen schlüpfen und sie performen zu dürfen. Filmische Mittel wie Aus-/Schnitt, Sound, Bild- und Toneffekte unterstützen die Erzeugung von Spannung, Witz oder einer gruseligen Atmosphäre. Elemente filmischer Genres wie Western, Horror, Krimi, Drama, Fantasy und auch Comedy fliessen ineinander, lösen sich gegenseitig ab, überlappen. Dabei ist viel (schwarzer) Humor vorhanden. Beispielsweise, wenn Blinde von einem ebenso blinden Fahrer eines Kleinwagens überrollt werden und die Situation unaufgelöst in die nächste Handlung übergeht: Der blinde Fahrer steigt aus und bemerkt den dramatischen Unfall nicht, dessen Urheber er ist. Oder wenn Waldfeen sich in Zauberübungen verlieren und sich dabei versehentlich einfrieren, Schweinsnasen, Bärte und Hexengesichter anzaubern und Würmer spucken. In den filmischen Arbeiten beider Schulklassen sticht die Rollenverteilung der Schüler.innen und die damit einhergehende Reproduktion stereotyper Formen von Männlich- oder Weiblichkeit ins Auge. Stellenweise wird dies aufgebrochen, doch verweisen die Filme auf ein wichtiges Handlungsfeld, in dem die Dringlichkeit zur Diskussion und Verhandlung von Gender in der Schule von klein auf augenscheinlich wird. Nach der viel applaudierten Vorführung erhalten die Schüler.innen einen Einblick hinter die Kulissen des Kino Xenix, wo Cora ihnen den Vorführraum zeigt, bevor sie sich wieder auf die Rückreise in das Schulhaus begeben.
Das Vermittler.innen-Team und die Kulturagent.innen debriefen spontan vor dem Kino. Eine vertiefende Reflexion zur Weiterentwicklung des schulübergreifenden Formats «MovieMotor» ist zeitnah geplant. Heute wurde eindrücklich sichtbar, wie sehr sich das Medium Film für kulturelle Bildungsprojekte an Schulen eignet: Die Begeisterung der Kinder, sich durch filmische Mittel auszudrücken, ihre Vorkenntnisse und ihr Interesse an bestimmten Filmgenres, Videoclips und Musikrichtungen bieten zahlreiche, wertvolle Anknüpfungspunkte an gesellschaftlich relevante Themenfelder, die Teil des Lehrplans sind. Dazu zählt die Verhandlung von Geschlecht und Rollen ebenso wie Gewaltprävention und Auftrittskompetenzen zu fördern usw.
In diesem Sinne, ist zu wünschen, dass «MovieMotor» weiterwachsen darf und Schulen, Kinos, Vermittler.innen noch näher aneinanderrücken.