Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Verbindungen geschehen über Dinge, die einem vertraut sind. So kann ein Fussballpokal ein Türöffner für Waldlinge sein.

«So viel Spass hat mir Kunst noch nie gemacht!», strahlt ein Drittklässler, der gerade sein Blatt mit Tannzapfenskizzen füllt. Nachdem sich die Klasse Löhrer im Laufe des Schuljahrs mit einer Reihe von Künstlern wie Picasso, Klimt, Klee und anderen auseinandergesetzt hat, ist mit Patrick Benz zum ersten Mal ein zeitgenössischer Künstler live im Klassenzimmer, unter dessen Leitung die Kinder eigene Kunstwerke kreieren dürfen. Der Steinbildhauer aus Rorschach hat die Klassenlehrerin Benedikte Löhrer und die Kulturagentin Barbara Tacchini in sein Atelier in Rorschach eingeladen, um ein ideales Konzept für eine fünftägige Arbeitsphase mit den Drittklässlern zu finden. So ist aus dem gemeinsamen Interesse für den Wald und einer nachhaltig wirksamen Kunst die Idee der «Waldlinge» entstanden. Im Fokus des Projekts steht allerdings nicht das Produkt, sondern der kreative Weg dahin über Beobachtungen, Skizzen und Vorstudien, aber auch das Organisieren und «Kuratieren» einer Ausstellung samt Vernissage.

Doch zurück zum Anfang, der natürlich im Wald stattgefunden hat. Gemeinsam mit Patrick Benz ist die Klasse zunächst auf die Suche nach Früchten und Samen gegangen. Mit dabei sind auch drei ukrainische Mädchen, welche das Projekt geniessen können, da vieles ohne Worte möglich ist.

Sortiert und bestimmt liegen die vielen Fundstücke bald ordentlich auf dem Tisch: Tanne, Buche, Ahorn, Linde … Während die Kinder nun auf ihre gewohnte Weise sehr feine, kunstfertig genaue Zeichnungen der Samen meist in einer Ecke des Skizzenblattes anfertigen, gibt ihnen Patrick Benz einen Einblick in seine Zeichentechniken. «Zeichnen wie Patrick Benz» heisst, die Ellbogen benützen. Schnell füllen sich neue Papiere mit grosszügig skizzierten Formen, die unter genauer Beobachtung der interessanten Linien und Schatten der Natur entstehen. Als nächstes werden die verschiedenen Formen in Grossformat getont, auch Ideen aus den ersten Skizzen dürfen einfliessen: «Gar nicht so leicht», seufzen manche Kinder, während sie einzigartige Kunstwerke entstehen lassen.

Nun kommt der nächste und letzte Arbeitsschritt: Mit einer Mischung aus Ton und Walderde werden Formen in Torf-Töpfchen rund um gepflanzte Setzlinge erstellt: Die Waldlinge, wie sie später als grosse Gruppe auf dem Pausenplatz stehen, lassen an die vielen zubetonierten Erdflächen denken.

Am Tag der Vernissage ist die Aufregung gross. Alle Kunstwerke haben ihre Plätzchen gefunden, Reden sind vorbereitet, Häppchen aus Waldprodukten angerichtet, sogar ein Liveinterview mit Patrick Benz findet statt. Und als stimmungsvolle Überraschung erklingen Flöten-, Gitarren-, Geigen- und Posaunenklänge, gespielt von den Kindern zur Einweihung ihrer Ausstellung. Auf Deutsch und Ukrainisch rufen sie: «Herzlich willkommen. Die Ausstellung ist eröffnet!»

Die Ausstellung zeigt auch die Skizzen und natürlich die Tonarbeiten, für welche die Kinder selbst Sockel aus Fundstücken im Schulhaus aussuchen dürfen und deren Wirkung diskutieren. «Was ist richtig?» «Das, was der Künstler oder die Künstlerin möchte», entscheiden die Kinder, und damit ist nicht etwa Patrick Benz gemeint, sondern sie selbst. Sogar ein Fussballpokal erweist sich – auf den Kopf gestellt – als spannender Sockel, was einige fussballbegeisterte Ausstellungsbesucher besonders amüsiert. «Wer hat den Pokal gewonnen?», fragt prompt ein Vater, als er vor der Ausstellung steht. «Wir!», antwortet ihm sein Sohn stolz, und fügt hinzu, «aber den Pokal kann man eben auch anders verwenden!». «Ja, als Ständer für Kunst», meint der Vater. «Sockel, Papi!»