Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Als Kulturagentin anzufangen, bedeutet wieder in die Schule zu gehen. Dabei werden Erinnerungen aus der eigenen Schulzeit wach. Ein Nachdenken über den ersten Schultag und Schulhausarchitektur.

Der Anreiseweg führt mich vorbei an den Neubauten in Zürich-Oerlikon, über eine Brücke, welche die Eisenbahn überquert, mitten in ein Mehrfamilienhausquartier. In meiner Kindheit führte mich mein Schulweg entlang einer kleinen Quartierstrasse und einen kurzen, aber steilen Hang hinab. Er dauerte zwischen fünf und dreissig Minuten. Je nachdem ,was es unterwegs noch alles zu beobachten, besprechen und erfinden gab. Ich erinnere mich noch gut, was ich an meinem ersten Schultag trug: Rote Shorts, ein tannengrünes T-Shirt und ein buntes Tuch im Haar, das vorne zu einer Masche zusammengebunden war. Ich erinnere mich ebenfalls, dass ich die Kombination meiner Kleidung für ausgesprochen gelungen hielt.

Hier in Seebach befindet sich das Schulhaus Himmeri-Staudenbühl, das mit seiner 1970er-Jahre-Architektur wie aus der Zeit gefallen wirkt. Der weisse, grobe Spritzverputz erinnert mich an die Schneekrümmel einer frisch präparierten Piste. Das weich eingepackte Schulhaus sieht gemütlich, beinahe wohnlich aus. Mein erstes Schulzimmer befand sich in einem «richtigen» Schulhaus, wie es die Gründerzeit noch hervorgebracht hat. Pausenhof, grosses Treppenhaus mit breiten Fluren, hohe Zimmer und ein quasi verschlossenes Lehrer.innenzimmer. Eine Raucherecke existierte nicht.

Bei meinem ersten Besuch der Schule Himmeri treffe ich meinen Vorgänger Tom Heinzer in einer Nische hinter dem Schulhaus, dort, wo sich der Hausabwart, das Putzpersonal und Rauchende aufhalten. Zielstrebig marschieren wir aus dieser Nische heraus über den verwinkelten Pausenhof ins Schulhausinnere. Tom ging diesen Weg oft. Das wird deutlich an seinem schnellen und unbeirrten Schritt. Meine Aufmerksamkeit hingegen bleibt an jeder Hausecke hängen. Ich erinnere mich, wie wir morgens jeweils vor der noch verschlossenen Eingangstüre des Schulhauses warteten. Manchmal fand dann bereits die erste Schneeballschlacht statt, manchmal tuschelten wir über andere Schüler.innen. Immer öffnete uns Frau Bächler die Tür kurz vor 8 Uhr.

Wir betreten das Schulhausinnere: Ein kleiner Vorraum, geschmückt mit Selbstgebasteltem, ein verschachteltes Treppenhaus mit pastellfarbenem Wandbild und das Lehrerzimmer. Teamzimmer, korrigiert mich Tom. Und ich erkenne: Meine Sprache entlarvt sich als in meiner Primarschulzeit stehen geblieben. Auch der Aufenthalt in dem holzgetäfelten Teamzimmer fühlt sich an wie einer der wenigen Lehrer.innenzimmerbesuche in meiner Schulzeit: Alles ist anders als im Schulhaus, alles interessiert mich brennend, alles wirkt so erwachsen und alles erinnert mich an abgestandenen Kaffee und den Mundgeruch meiner Lehrer.

Den Weg in die Turnhalle führte uns an einem Feuerweiher mit grossen Karpfen vorbei. Nicht selten schwamm plötzlich ein Turnbeutel mit den Karpfen im Weiher. Die Karpfen ekelten mich immer wieder aufs Neue und in der Umkleidekabine im Untergeschoss der Turnhalle fühlte ich mich unbehaglich. Dafür liebte ich den Geruch des Hallenbodens und der Medizinbälle.

Kurze Zeit später machen wir uns auf den Weg ins Schulhaus Himmeri-Heumatt. Das Schulhaus liegt 800 Meter Fussweg vom Schulhaus Staudenbühl entfernt und könnte aus der Ferne betrachtet auch ein Spitalbau sein. Der Eingangsbereich ist geschmückt mit dem Bild eines Alpaufzuges. Bei uns gab es einmal im Jahr den sogenannten «Chüemärit». Eine Schau aller Kühe aus der Umgebung, die sich während eines Tages auf unserem Pausenhof präsentierten. Für uns Schüler.innen war der Geruch von Kuhfladen, das Muhen der Küche und die Blumengestecke zwischen den Kuhhörnern ein jährlich wiederkehrendes Highlight und eine willkommene Ablenkung von der immer gleichen Pausenroutine.

Wir besuchen die Räumlichkeiten der Heilpädagogischen Schule, gehen am Schwimmbad vorbei und finden das Ideenbüro Boby – einen umfunktionierten Bauwagen – auf der Laufbahn der Weitsprunganlage. Von hier aus starte ich meine Tätigkeit als Kulturagentin an der Tagesschule Himmeri.

Dieser Text ist aus zwei Erinnerungsprotokollen entstanden. Ein Protokoll verfasste ich unmittelbar nach meinem ersten Arbeitstag als Kulturagentin im Frühling 2022. Das zweite Protokoll verfasste ich 28 Jahre nach meinem ersten Schultag im Sommer 1994.