Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Während der Fokus im ersten Treffen der Weiterdenkreihe auf der Auseinandersetzung mit dem Traditionsbegriff im nationalen Kontext der Schweiz lag, ging es in der zweiten Runde um Tradition und Schule.

Was Tradition mit Schule zu tun hat

Tradition bedeutet «weitergeben» oder Weitergabe. Sie ist eine Fähigkeit, welche vor allem dem Menschen zugeschrieben wird und innerhalb von Gruppen oder zwischen Generationen passiert. Weitergegeben werden Handlungsmuster, welche nicht instinktiv angeboren sind, sich darum auch regional unterscheiden können und für die ausführende Gruppe einen Wert besitzen. Die Weitergabe erfolgt über Schrift, Sprache, Bilder, die Erziehung oder spielerische Nachahmung. Die Schule spielt deshalb bei dieser Weitergabe eine bedeutende Rolle und ist (neben der Familie) mittlerweile einer der wichtigsten Orte für Tradition(en), ob sie will oder nicht. Was heisst das nun für die Schule Gais?

 Fünf Fragen in fünfzig Minuten

Tradition braucht Zeit, steht auf einem der Post-It's der Schlusspräsentation. Stimmt, denke ich, und das Nachdenken darüber bräuchte es eigentlich auch, aber sich Zeit zu lassen ist trotz aller guter Vorsätze aus dem letzten Lockdown – oder eben aus Sorge um den nächsten – gerade so gar keine Tradition und das Schulhaus hält seine Sitzungen gerne speditiv, und da es neuerdings eine allgemeine Maskenpflicht gibt, erst recht. Speditiv arbeiten kann ich, wenn es sein muss, aber weil ich die Bandbreite des Denkens wieder etwas öffnen möchte, ist der Arbeitsplan für die Lehrpersonen an diesem Dienstagabend ziemlich durchgetaktet: Fünf Gruppen, Fünf Fragen, Fünf Arbeitsschritte in je 10 min. Während beim ersten Schritt die jeweilige Frage nur diskutiert werden muss, geht es beim zweiten Schritt darum, die Diskussion schriftlich festzuhalten. Im dritten Schritt werden daraus Post-It's generiert, die im vierten Schritt geordnet und im fünften präsentiert werden. Das alles im Rotationsprinzip, damit alle Gruppen mit allen Fragen konfrontiert werden. Da ist viel Platz für produktive Missverständnisse und trotzdem (oder deswegen?) zeichnen sich nach den fünfzig Minuten drei Haupttendenzen ab, wie ich bei der Durchsicht des Materials zwei Tage später feststelle.

Die Schule im Dorf oder umgekehrt

Die für mich überraschendste Spur ist jene die nach der Interaktion zwischen Schule und Dorf fragt. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass es in meiner Biographie immer mehrere Schulen im selben Dorf gab und die Identitäten dieser Schulen nicht so sehr durch das Dorf, sondern eher durch die Quartiere geprägt waren. In Gais ist das anders und deshalb stellt sich mir die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Schule und Tradition ganz neu. «Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen», sagt ein senegalesisches Sprichwort. Welche Kinder erzieht Gais?

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Einblicke in die «Weiterdenkreihe» erhalten Sie in der Dokumentation