Schatzsuche 1: Melinas Rätsel
03. November 2019
von Barbara Tacchini
Schon als Kind ging ich gerne auf Schatzsuche, und genauso gerne legte ich Fährten: Mit Schnitzeln, mit Holzsteckchen oder mit Kreide auf den Asphalt gemalt. Ein Kreis bedeutete: Hier ist irgendwo ein Schatz versteckt.
Ich besass eine Schatzkiste bei meiner Grossmutter, voll mit so wunderlichen Dingen wie Knöpfen, leeren Parfümflakons, glitzernden Stoffresten oder schrumpeligen Kastanien. Heute tauchen in den Seitentaschen meiner Rucksäcke urplötzlich Muscheln und Steine auf, Fundstücke vom letzten oder vorletzten Urlaub am Meer. Und blicke ich zurück auf Projekte oder Lebensphasen, staune ich nicht selten, wie eines zum anderen kam: So wahr Antonio Machados Gedicht von den berühmten «Kielspuren im Meer»: «Wanderer, es gibt keinen Weg, der Weg entsteht beim Gehen». Auch bei meinen musiktheatralischen Stückentwicklungen fülle ich zunächst die Schatzkisten, mit Bildern, Klängen und Szenen, die ich in einer zweiten Phase sortiere. Das Sammeln geschieht intuitiv, der Schlüssel zum Sortieren und Kombinieren findet sich irgendwann im Prozess, darauf vertraue ich und lasse mich beschenken. Bald lege ich Fährten, von denen ich ahne, dass sie zu einem noch unbekannten Schatz führen könnten, dann wieder folge ich fremden Spuren. Ähnliches geschieht in diesen ersten Wochen als Kulturagentin. Ich begebe mich auf Spurensuche, noch nicht wissend, wer und was sie hinterlassen hat oder wohin sie führen. So trat ich bei meinem dritten Besuch in der Primarschule Wiesenau in St. Margrethen auf einen Kreidepfeil mitten auf dem fast schon beängstigend kargen Pausenplatz und folgte ihm.